In der Ruhe liegt die Kraft
Ein Interview mit den Editoren Johannes Klais und Florian Pawliczek, Gewinner des Tentacle Sync Förderpreis Schnitt 2018 für Fasse dich kurz! (Regie: Johannes Klais/Florian Pawliczek).
Ihr verdient Euren Lebensunterhalt mit Industrie- und Unternehmensfilmen, macht aber jedes Jahr auch einen Kurzfilm zusammen – wie ist es dazu gekommen und warum ist Euch das wichtig?
Johannes Klais und Florian Pawliczek: Wir haben beide Kamera studiert und während des Studiums sehr frei gearbeitet. Nach dem Abschluss standen aber natürlich schnell auch wirtschaftliche Interessen im Vordergrund und bald kam die Erkenntnis, dass es sehr schwer ist, mit eigenen Dokumentarfilmen den Lebensunterhalt zu erwirtschaften. Das freie Arbeiten an eigenen Filmen ist uns aber beiden nach wie vor sehr wichtig. Vor allem die absolute Unabhängigkeit von einer dritten Seite macht es uns möglich, neue Gestaltungsmittel völlig frei auszuprobieren und alle Entscheidungen so zu treffen, wie wir es für richtig erachten. Auch Herr über die eigenen Arbeits- und Produktionsbedingungen zu sein, ist ein sehr gutes Gefühl. Dabei entstehen dann Filme, die sich in ihrer Herstellungsweise, aber auch in den eingesetzten Gestaltungsmitteln sehr von dem unterscheiden, was wir in unserem beruflichen Alltag machen. Man könnte vielleicht sagen, wir haben uns einen Raum des kreativen Ausprobierens und des freien Filmemachens geschaffen, in dem wir unsere Vision umsetzten können. Vor allem das Arbeiten in Ruhe, ohne Zeit- und Erfolgsdruck ist uns dabei sehr wichtig, sowohl während der Dreharbeiten als auch in der Art und Weise, wie wir unsere Bilder gestalten und montieren. Diese gemeinsame Arbeit an unseren kurzen Dokumentarfilmen schafft einen Ausgleich zu den sonst sehr stressigen und oftmals lediglich auf Effizienz ausgelegten Produktionen unseres Berufslebens.
Worum geht es in Euren dokumentarischen Kurzfilmen – inhaltlich und filmsprachlich?
Johannes Klais und Florian Pawliczek:
In unseren bisher drei gemeinsam gedrehten Kurzfilmen verfolgen wir ein sehr klares und stringentes Konzept. Wir trennen radikal zwischen »Bildern« und »gesprochenem Inhalt« in Form von Interviews. Im Mittelpunkt der Bilder steht in jedem der drei Filme ein analoger Automat, der aus dem öffentlichen Raum oder aus der Wahrnehmung vom öffentlichem Raum verschwindet. Im ersten Teil Erfrischt einzigartig waren das Kaugummiautomaten, im zweiten Teil Einwurf zwanzig Pfennig waren es Kinderfahrautomaten und in Fasse Dich kurz! beschäftigten wir uns nun mit den letzten gelben Telefonzellen des Ruhrgebiets. Diese Automaten suchen wir in recht aufwendiger Recherchearbeit und entdecken dabei Orte in unseren Städten, die uns als Kameramänner und Filmemacher interessieren. Zunächst rein visuell und atmosphärisch. Die Dreharbeiten sind dann eine Art filmische Ortsbeschreibung, wir führen den Zuschauer entlang einer Spur von beispielsweise einem Kaugummiautomaten zum nächsten, laden ihn so ein, sich diese wunderschönen, alten Automaten einmal genau anzusehen und sich auf die Orte einzulassen, an denen sie noch hängen.
Die zweite Ebene unserer Filme sind dann Interviews, die wir mit Menschen führen, denen wir bei den Dreharbeiten rein zufällig begegnen. Wir sind bei diesen Begegnungen sehr offen für das, was diese Menschen uns dann in teilweise recht langen Interviews aus ihrem Leben erzählen. Dabei achten wir darauf, unserem Gegenüber ganz bewusst keine Fragen zu dem Objekt zu stellen, um das es auf der Bildebene geht. Erst im Schnitt führen wir diese beiden Ebenen dann sehr assoziativ und mit Mut zu viel Ruhe, zu stillen Beobachtungen und assoziativen Sequenzen zusammen.
Fasse Dich kurz! ist der dritte Teil einer Trilogie, die nach bestimmten Regeln entstand – bewusste Reduktion als Befreiung sozusagen. Worin bestehen Eure zentralen Regeln für Eure Kurzfilme?
Johannes Klais und Florian Pawliczek: Wir haben von Beginn der Zusammenarbeit an konkrete Absprachen getroffen und diese auch wirklich analog und handschriftlich auf einem DinA4 Blatt festgehalten. Da geht es sowohl um schlichte produktionstechnische Aspekte wie: »Unsere Drehorte liegen in einem Radius von 30 Kilometern um unsere Heimatstadt Dortmund«, als auch um ganz elementare gestalterische oder konzeptionelle Entscheidungen wie: »Es werden nur statische Einstellungen gedreht, Kamerabewegungen im On sind nicht erlaubt«. Diese Regeln schränken einerseits natürlich ein, sind aber gleichzeitig auch eine wahnsinnige Befreiung. Unseren Aktionsradius schon bei der Suche nach Themen einzuschränken, garantiert uns, dass wir uns in der Phase der anfänglichen Euphorie keine Themen suchen, die dann aufgrund von Zeit oder Geldmangel gar nicht realisiert werden können. Wir haben beide im Studium so viele Filmprojekte erlebt, die nie final fertig gestellt wurden und als Rohschnitte auf Festplatten alt werden und so lautet eine weitere wichtige Regel, das unser jeweils aktueller Film immer im Dezember des Jahres Picture-Log feiert.
Auf der gestalterischen Seite sind klare Regeln wohl für jeden wichtig. Sie helfen einfach ungemein dabei, unter den oft widrigen Umständen eines Doku-Drehs Entscheidungen zu treffen. So eine Regel wie: »Wir suchen nach geraden Linien im Bild« ist dafür ein gutes Beispiel, vor allem, da wir ja beide als Kameramänner gleichberechtigt in die Dreharbeiten gehen. Da macht es einfach Sinn, sich im Vorfeld ein klares Konzept für die Bildgestaltung zu schaffen, damit man beim Drehen auf der Straße nicht alles ständig von vorne diskutieren muss. Es gibt dann noch immer genug Gesprächsbedarf, wenn zwei Kameramänner gemeinsam und gleichberechtigt auf einen Monitor blicken und ein Bild kadrieren. Allein für dieses gemeinsame Arbeiten am Bild war unsere Arbeitsweise vom Stativ sehr dankbar. So konnte die Kamera – eine recht schwere Sony F5 – in Ruhe und mit viel Liebe zu den Details der Kadrage ausgerichtet werden.
Eine weitere Regel, die uns sehr geholfen hat, schöne und zufällige Momente einzufangen war: »Wenn eine totale Einstellung eingerichtet ist und wir das Bild gedreht haben, das wir wollten, lassen wir die Kamera noch 15 Minuten so stehen und warten mal, was noch so passiert.« Florian hat dann immer den Wecker gestellt und wir haben eine Viertelstunde einfach neben der Kamera gestanden und gewartet. In dieser Zeit, in der man sich ja nicht mit der Kamera beschäftigen darf, passiert dann ganz viel. Man nimmt den Ort wahr, man begegnet einem neuen Protagonisten, oder was auch immer. Ich glaube, ein Großteil der Ruhe, die wir an unseren Filmen so schätzen, entsteht erst, weil wir uns selbst immer wieder dazu zwingen, nicht so durch den Drehtag zu hetzen.
Fairer Weise sollte man noch ergänzen, dass es auch bei uns keine Regel ohne Ausnahme gibt und dass unser »Regelwerk« – oder besser das Konzept, nach dem wir die Automaten-Trilogie gestaltet haben nicht statisch war, sondern mit jedem Film gewachsen ist.
Auch für die gemeinsame Montage gab es so eine »Regel«: Wie habt Ihr im Schnitt zusammengearbeitet und was hat sich für die Montage dieses Films im Vergleich zu den letzten beiden geändert? Was ist der Vorteil dieser Art der Zusammenarbeit?
Johannes Klais und Florian Pawliczek: In der Montage war es uns wichtig, dass nur einer von uns tatsächlich das Schnittsystem bedient. Handwerklich sind wir beide dazu in der Lage und schneiden auch beruflich immer mal wieder. Da hatten wir bei dem ersten gemeinsamen Film Erfrischt einzigartig die Sorge, dass es etwas turbulent zugehen würde im Schnittraum. So haben wir festgelegt: »Florian schneidet am Avid und Johannes darf die Maus unter gar keinen Umständen anfassen.« Das hat dazu geführt, dass ich zum ersten Mal meine Ideen in der Montage nicht selbst »mal eben« ausprobieren konnte, sondern sie Florian verbal erklären musste, um dann geduldig abzuwarten, bis sie von Florian handwerklich umgesetzt wurden. Was für ein Gespann aus Editor und Regisseur sicherlich jetzt ganz normal klingt, war für mich als Kameramann und Filmemacher, der es gewohnt ist, selbst zu schneiden, eine sehr wichtige, teils anstrengende und doch spannende Erfahrung. Gerade weil die Art, wie unsere Filme geschnitten sind, sehr assoziativ ist, zwingt man sich mit dieser Arbeitsweise dazu, die eigenen Ideen zunächst mit Worten und damit im Kopf zu schaffen, sie zu prüfen und zu konkretisieren. So kommt man weg von einer reinen »Trial and Error-Arbeitsweise«, wie ich sie sicher oft anwende, wenn ich alleine schneide. Es ist ähnlich wie mit dem fünfzehn Minuten Warten beim Dreh: die auferlegten Ruhepausen bei der Herstellung sind dem fertigen Film anzumerken, davon bin ich fest überzeugt.
Ihr seid ursprünglich Kameramänner und die Orte, die Ihr mit Euren statischen Einstellungen einfangt sind sehr sorgfältig gewählt, die Bildaufteilung und Erzählung des Raums rund um Euer zentrales Betrachtungsobjekt sehr gekonnt inszeniert. Wie findet dieses »Kameramannmaterial« in der Montage dann zu einer Balance mit den gedrehten Gesprächen mit Euren Zufallsprotagonisten?
Johannes Klais und Florian Pawliczek: Wir sortieren im Schnitt zunächst das gedrehte Material sorgfältig vor und schmeißen alle Einstellungen weg, die uns als Kameramänner nicht hundertprozentig überzeugen. Bei diesem Vorgang eignen wir uns das gedrehte Material noch einmal ganz neu an und wissen danach ganz gut, was es auf der Bildseite alles gibt. Genauso verfahren wir mit den Protagonisten. Wir schneiden die Gespräche »sauber« von allen Fragen und von nicht zu gebrauchenden Passagen, dann wird der Text transkribiert und so haben wir dann ganz gut im Kopf, was es inhaltlich für Material gibt. Sehr früh entscheiden wir uns auch schon dafür, bestimmte Interviewte ganz auszusortieren. Es gibt immer den Wunsch, genau drei Protagonisten zu haben und ob ein Gesprächspartner für uns funktioniert oder nicht, können wir meist schon sehr schnell aus einem Bauchgefühl heraus entscheiden. Nur selten hat uns dieses erste Bauchgefühl getäuscht. Natürlich hadert man mit weggeworfenem Material bei unserer so offenen Montageform immer wieder und versucht auch liebgewonnene und schon weggeworfenen Bilder wieder in die Filme zu retten. Aber hier hilft es ungemein zu Zweit im Schnitt zu sitzen, denn die eigenen Lieblingsbilder und Ideen vor dem Anderen rechtfertigen zu müssen ist eine große Hilfe beim Finden von stichhaltigen Argumenten für oder gegen ein Bild oder einen Protagonisten.
Es folgt dann ein »sich immer wieder das gedrehte Material ansehen« und Überlegen, wo es Schnittpunkte oder Verbindungen zwischen den beiden Ebenen geben kann, in welchen Kombinationen von Bild und gesprochenem Wort Neues entsteht, was so in der einzelnen Ebene nicht existiert. Unser Montieren ist die ständige Suche nach Lustigem, Traurigem, Nachdenklichem oder auch mal Absurdem, da sind wir dann ganz offen. Wichtig ist nur, dass es uns im Ergebnis beiden gefallen muss. Glücklicher Weise teilen wir beide einen sehr ähnlichen Humor.
Man hört ja auch oft, dass Kameramänner nicht unbedingt die besten Editoren des selbstgedrehten Materials sind, weil ihnen der Abstand zum Material fehle. Ich kann sagen, dass es für mich als Kameramann eine große Freude ist, die selbst gedrehten Bilder im Schnitt neu zu bewerten und in neue Zusammenhänge zu stellen, die ich beim Drehen vielleicht noch gar nicht bemerken konnte. Das eigene Bildmaterial einem Prüfungsprozess zu unterziehen und diesen auch noch mit einem Kollegen zu erörtern, bringt unglaublich viel und macht große Freude.
Auch der Ton spielt bei Euren Arbeiten eine wichtige Rolle. Der Anteil O-Ton ist vergleichsweise gering bei Euch, oder?
Johannes Klais und Florian Pawliczek: Lässt man den großen und wichtigen Teil der Interviews einmal weg, so besteht die Tonspur unserer Filme tatsächlich nur noch aus 10% des Originaltons. Die gesamte akustische Umgebung der Orte ist im Sounddesign entstanden. Ich habe vor meinem Studium als Kameramann drei Jahre in der Filmton-Postproduktion gearbeitet und bin tatsächlich über den Ton zum Filmemachen gekommen. Ich habe noch immer eine ganz große Liebe für die Tongestaltung und dabei ganz besonders für das Basteln von Atmos. Da hat es uns natürlich sehr gefreut, dass wir uns dank der Förderung durch die Film und Medienstiftung NRW nicht nur eine amtliche Farbkorrektur bei Farbkult in Köln leisten konnten, sondern dass auch die Tonmischung bei den Ruhrsoundstudios in Dortmund stattfinden konnte. Das ist schon eine schöne Erfahrung, die eigene Arbeit an Bild und Ton in einem freien Projekt dann unter hoch professionellen Gegebenheiten zu Ende zu bringen. Was das Sounddesign angeht, so war es da eine besonders große Freude, dass wir den Film bei Ruhrsound auch in 5.1 mischen konnten, denn den Raum außerhalb der Bildkanten akustisch zum Leben zu erwecken ist eine wirklich schöne Sache und macht mir persönlich besonders große Freude. Dabei spielt unser visuelles Konzept in diesen Filmen dem Sounddesing auch nicht zufällig in die Karten. Die Bilder der Orte sind meist menschenleer und stehen darüber hinaus in sehr langen Einstellungen. So schaffen Bildgestaltung und Montage erst die Möglichkeit, dass die Aufmerksamkeit des Zuschauers unweigerlich nach und nach in den Ton wandert. Ich glaube, das ist der Grund, warum wir auf die Tongestaltung des Films schon ein paar mal positiv angesprochen wurden, obwohl da eigentlich nicht viel Spektakuläres passiert. Aber in einer menschenleeren, totalen Einstellung von einer Telefonzelle an einem diesigen Sonntagmorgen, die im Schnitt eine gefühlte Ewigkeit stehen gelassen wird, bekommt das leise Gurren und der Flügelschlag einer Taube aus dem linken Surround-Speaker natürlich eine wunderbare Aufmerksamkeit.
Interview: Kyra Scheurer