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Interview mit Yana Höhnerbach - Gewinnerin des Bild-Kunst Schnitt Preis Dokumentarfilm 2018 für Bruder Jakob (Regie: Elí Roland Sachs)
In Bruder Jakob porträtiert Regisseur Elí Sachs seinen Bruder und dessen religiöse Suche, die ihn zu Beginn des Films bereits zum Salafismus geführt hat. Wie war die Arbeit im Schneideraum an so einem intimen Familienporträt mit einem Regisseur, der gleichzeitig auch ein Protagonist des Films ist?
Yana Höhnerbach: Die Arbeit mit Elí war vor allem bestimmt durch einen sehr vertrauensvollen Umgang miteinander. Zu Beginn haben wir sehr viel geredet. Das war mein erster Schritt Jakob und sein Umfeld kennen zu lernen. Ein zweites Mal habe ich ihn dann im Material kennen gelernt. Für Eli war mein Blick als Außenstehende sehr wichtig. Gefühlt war Eli nicht von Anfang an gleichwertiger Protagonist in dem Film und wir haben uns zunächst viel auf Jakob konzentriert. Ziemlich schnell jedoch stellte sich für uns heraus, dass dieser Film vor allem ein Film über die beiden Brüder ist.
Deine Montagedramaturgie geht sehr präzise mit Spannungssteigerung und Emotionsführung um – was sich vor allem an der Art zeigt, wie Jakob Teil des Films wird und an einem starken »Midpoint« bei dem es zu einem sehr konflikthaften Familientreffen kommt. Wie hast Du die Struktur des Films gefunden und gestaltet?
Yana Höhnerbach: Die Familienfeier war immer schon eine Zuspitzung und positionierte sich im Mittelteil, genauso wie der spätere Religionswechsel zum Bahaitum im letzten Drittel war. Die größte Aufgabe in der Struktur lag darin, diesen im wirklichen Leben plötzlichen Wechsel im Film passend einzubetten, ohne ihn zu sehr zu erklären aber auch ohne die Zuschauer zu verlieren. Ein anderer großer Punkt war die Einführung Jakobs. Hier haben wir uns für ein Spiel mit der Ambivalenz entschieden. Da es viel um Kommunikation im Konflikt geht mussten die Erwartungen und Enttäuschungen seines Umfelds in der ersten Hälfte sehr deutlich spürbar sein, damit sie bei der zweiten Hälfte des Films und Jakobs weiterer Suche noch mitschwingen.
Wir haben versucht mit der Erwartung des Zuschauers zu spielen. So führen wir Jakob nur durch die Erzählung anderer sehr unsympathisch ein, doch ab dem Moment wenn er selbst wirklich Teil des Films wird, bestätigen sich diese aufgebauten Vorurteile nicht unbedingt. Dann Wiederrum haben wir dieses neue Verständnis für Jakob direkt mit einer krasseren Aussage von ihm gepaart, die einen dann doch wieder abschreckt. Das alles dient dazu, dass man sich nicht zu einfach ein Bild machen kann. Wichtig war uns immer keine klaren Antworten zu geben, sondern die Menschen und so auch den Zuschauer in einen Dialog zu setzen.
Jakob ist nicht der einfachste Protagonist in Sachen Sympathieführung – entweder man ist sehr gegen ihn, oder von Anfang an für ihn. Die »goldene Mitte« zu treffen in der Zuschauerempathie war sicher eine Gratwanderung der Montage. Habt Ihr Euch da Feedback von außen geholt, verschiedene Varianten an »Testzuschauern« ausprobiert?
Yana Höhnerbach: Ich habe Jakob sehr lieben gelernt beim Sichten,
auch wenn ich mit seiner Religiosität nichts anfangen konnte, so konnte ich
mich mit dem Suchen und Zweifeln sehr verbinden. Meistens waren wir selbst
unsere Tester und haben schnell gemerkt, dass wenn er z.B. von Anfang an zu
greifbar und sympathisch ist, alle anderen Beteiligten im Film nicht mehr ernst
genommen werden und man sich mit ihm gegen sie verbündet. Später gab es mehrere
Testschauer denen wir einen Export mit speziellen Fragen geschickt haben. Diese
halte ich immer sehr neutral um nicht direkt zu Beeinflussen. Die Tester wissen
dann beim Schauen gar nicht an welchen Problemen und Stellen wir gerade
arbeiten. Zum Schluss gab es ein Testscreening bei dem wir darauf geachtet haben,
keine Filmschaffenden einzuladen. Diese haben auch wieder die gleichen vier
neutralen Fragen bekommen, und wurden nach dem Schauen zum Diskutieren
angeregt. Aus der Diskussion haben wir uns komplett rausgehalten und auch keine
Fragen beantwortet. Das war sehr spannend.
Ihr arbeitet vor allem zu Beginn und Ende des Films stark mit Textelementen: selbst eingesprochene Tagebucheinträge von Jakob und Emails von ihm an Verwandte werden kombiniert mit der Erzählung des Bruders/Regisseurs, welche Auswirkungen Jakobs Texte auf ihn hatten, bis hin zum wiederkehrenden Alptraum. Wie habt ihr im Schnittprozess an den Texten gearbeitet, wie entschieden, was verwendet wird oder auch auf was ihr bewusst verzichten wollt?
Yana Höhnerbach: Die Textebenen von Jakob waren von Anfang an klar Teil des Films. Hier gab es sogar Bildmaterial dazu. Eli war im letzten Drehblock mit Jakob mit dem Auto zu verschiedenen Orten gefahren und hat ihn währenddessen seine eigenen Texte vorlesen lassen. Wir haben uns aber schnell dagegen entschieden ihn im on zu zeigen, allein auch aus dem genannten Grund, dass er nicht so früh schon präsent im Film sein sollte. Geblieben von diesem Dreh sind die Fahrtaufnahmen, die man immer wieder im Film sieht. Elis Traum kam sehr spät in den Film, ca zwei Wochen vor Ende würde ich schätzen. Eli taucht im Material selbst nicht oft auf und wirkte schnell wie der große Bruder der alles besser weiß und über seinen kleinen Bruder urteilt. Vor allem durch die Konfrontation im Interview zum Ende des Films in dem Eli nur von hinter der Kamera zu Jakob spricht. Da es aber um die Beziehung der beiden Brüder geht merkten wir, dass auch Eli mit all seinen Zweifeln präsenter spürbar im Film sein musste. Wir hatten Schwierigkeiten Texte für ihn zu finden, da sie sich immer wie Erklärungen für den Film anfühlten, da sie ja im Gegensatz zu Jakobs Texten erst im Schnitt entstanden. Weil die Schnittphase für Eli sehr emotional war, träumte er viel von Jakob. Eines Tages erzählte er mir von einem dieser Träume. Dieser »Höllen-Traum« hat es dann in den Film geschafft weil er seine eigenen Zweifel und Sorgen gut widerspiegelte und sich ehrlicher anfühlte als jeder neu erfundene Text.
Die Jury für den Bild-Kunst Schnitt Preis Dokumentarfilm begründete die Auszeichnung von Deiner Montage an Bruder Jakob unter anderem mit folgendem Satz: »Der Film stellt dar, ohne der Versuchung zu erliegen, eine geschlossene Erklärung anzubieten.« Und tatsächlich ist die immer gegenwärtige Autorenhaltung eine sehr offene, wenig »besserwisserische«. Wie hat Deine Montage diese Autorenhaltung unterstützt bzw. im Schnitt mit entwickelt und ausgestaltet?
Yana Höhnerbach: Ich glaube es sind vor allem auch viele kleine
Entscheidungen die im Großen dann dazu führen. Wir versuchen alle Personen
ernst zu nehmen, auch wenn ihre Ängste oder Abneigungen sowie Meinungen
manchmal widersprüchlich sind. Keiner soll Schwarz/Weiß gezeigt werden. Jakobs
Patenonkel ist in der Familenfestsituation genauso nachvollziehbar, wie mich
Kathrins Reaktion auf den Angriff rührt. Ich kann mich nicht einfach auf eine
Seite stellen und bin so auf mich zurück geworfen und muss mir selbst Gedanken
machen.
Genauso auch beim Imam. Wir haben extra einen Ausschnitt aus seiner Predigt
gewählt die von der Sprache für unsere Ohren aggressiv und fremd klingt. Ohne
Untertitel würde hier das Bild des aggressivem Islam gefüttert, das wiederum
steht aber im Widerspruch zum Inhalt. Da er über die Wirkung von schlechten und
guten Gedanken auf unser Handeln spricht und sich auf die Neurowissenschaften
bezieht. Wir geben keine Antworten, sondern suchen den Kontakt. Es geht nicht
darum zu erklären und trotzdem glaube ich, dass man am Ende des Films doch
etwas mehr verstanden hat.
Interview: Kyra Scheurer